Steinerne
Erinnerung an schlammige Fluten
Der
Hochwasser-Merkstein ist dem dauerhaften Risiko Hochwasser gewidmet
– Extremsituation im Februar 1946
„In wenigen Tagen ist
die Weser gewaltig angeschwollen. Aus dem tiefliegenden Flusse
ist ein hochgehender, wilder Strom geworden der weite
Landflächen tief unter Wasser setzt und seine schlammige Flut
pfeilschnell zu Tal führt.“ Dramatisch schilderte das
Minden-Lübbecker Kreisblatt am 27. November 1890 den Anstieg
des Hochwassers.
„Über Nacht ist das
Wasser durch die unverstopften Abzüge auf die Fischerstadt
gedrungen.“ An Ereignisse wie 1890 erinnert im Weserglacis etwa
seit 1910 der „Merkstein", über dessen Entstehung im
Denkmalinventar der Bauforscher relativ wenig überliefert ist.
Eigentlich ist das Monument aus Sandstein kaum zu übersehen, aber
im an Denkmälern nicht gerade armen Glacis fällt er unter
Bäumen und. an einem Parallelweg zur Weserpromenade nur bei
direkter Annäherung so recht ins Auge. Dabei ist er einem
dauerhaften Risiko aller Flussuferstädte gewidmet, nämlich dem
Hochwasser. 14 schwere Überflutungen nennt die vom Gymnasiallehrer
Schroeder 1886 verfasste Mindener Chronik vom Mittelalter bis etwa
1850. Dabei kam es zu schwersten Schäden: etwa der Zerstörung der
Weserbrücke(1513), Wasser auf dem Markt (1553, 1643 und 1682) oder
dem Einsturz der Bunten Brücke (1798/99).
Die Wasserstände am Hochwasser-Merkstein berücksichtigen den
Zeitraum seit 1553; Sie beziehen sich auf das „Normal-Null" (NN) des
Meeresspiegels. Wenn der MT-Vorläufer Minden-Lübbecker
Kreisblatt 1890 einen konkreten Mindener Pegelstand der Weser von
5,10 Meter für den 27. November vermeldete, lautet die Angabe auf
dem Hochwasserstein auf abstrakte 42,44 Meter über, NN.
Dramatische Rettung eines „Tippelbruders"
Zur Einschätzung von Hochwasserfolgen um die Jahrhundertwende
hilft der Blick in die Presse. Ein ausführliches Echo fand dort
kurz vor Errichtung des Merksteines auch das Februarhochwasser 1909.
Für den 7. Februar meldete das Kreisblatt einen Pegelstand von
5,26 Metern (am Gedenkstein: 42,54 Meter über NN) und schilderte
in seinem Bericht die Schäden: So standen diverse Kellerräume im
Stadtgebiet unter Wasser, ein Holzlager am Brückenkopf weggerissen.
Die Fluten hatten auch die Heizanlagen im Theater, dein benachbarten
Festlokal „Tonhalle" sowie im Kreishaus (heute Kommunalarchiv)
ausfallen lassen. Die Überflutung "des Elektrizitätswerks in
Hausberge führte zum Komplettausfall der Stromversorgung an der
Porta.
Die Berichte in der Lokalzeitung beschränkten sich nicht auf die
Region. Am 8. Februar 1909 hatte das Kreisblatt Mehrere Spalten für
Hochwassermeldungen aus dem Weserbergland und dem Sauerland, von
Rhein, Ruhr, Main und Saale reserviert. Dort war die Rede von
weggerissenen Brücken, umgekommenem Vieh, eingestürzten Häusern und
ertrunkenen Menschen - derartiges war dem Mindener Land
Weitgehend erspart geblieben. Am dramatischsten gestaltete sich laut
Zeitung wohl die Rettung eines „Tippelbruders”, der in einem
Schuppen auf Kanzlers Weide genächtigt und vor den Fluten unterm
Dach Zuflucht gesucht hatte. Völlig entkräftet war er Tage Später
von der gegenüber liegenden Weserseite aus von einem Wachposten der
Pioniere entdeckt worden. Soldaten brachten ihn unter
Schwierigkeiten per Boot in Sicherheit: "Seine Retter brachten ihr
zur Wache, labten ihn mit Speis und Trank und brachten ihn dann
am Weserglacis an Land."
Der "Merkstein" von 1910 trägt mittlerweile auch die
Hochwasserdaten der Jahre 1918, 1926 und 1946. Älteren Menschen
sind das Neujahrshochwasser 1926 und die Überflutungen im Februar
1946 noch ein Begriff. Besonders 1946 ist dabei im Gedächtnis
vieler Mindenerinnen und Mindener geblieben: Zu
Kriegszerstörungen und Mangelwirtschaft kam damals ein
Jahrtausendhochwasser, das Teile der Unterstadt überflutete, Dörfer
des Umlandes abschnitt und Bahnstrecken beschädigte. Die
Extremsituation des Februarhochwassers 1946 ist zudem umfassend
durch Fotos dokumentiert.
Wenn auch mehrere
große Überschwemmungen der letzten Jahrzehnte verhältnismäßig
glimpflich für die Region abgingen, wird „Hochwasser" für die
Weserstadt Minden immer ein Thema bleiben. Das dokumentiert
rückblickend der Merkstein am Glacis.
Seine Beschmierungen und sein wenig gepflegter Zustand zeigen
vielleicht aber auch die Verdrängung eines Dauerthemas für Gegenwart
und Zukunft an dem „trockenen" Alltag . . . |